Freiheit und Wahn deutscher Arbeit
Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen Projektion
Beschreibung
Die Print-Version dieses Titels ist leider vergriffen, einen Nachdruck wird es nicht geben.
Aber das Buch wird in Kürze als eBook neu aufgelegt!
Wie Hannah Arendt bei ihrem Besuch in der gerade gegründeten Bundesrepublik 1950 feststellte, ist die ständige Geschäftigkeit des Deutschen, dessen trainierte Form der Verdrängung der Wirklichkeit.
Den Nationalsozialisten gelang es, die entfremdete Arbeit zu erotisieren, die ›Arbeit an sich‹. Der nationale Gründungsmythos »deutsche Arbeit« galt als Ort der ›Unschuld‹. Mit Luther und Hitler: Nicht was, sondern wie einer arbeitet, zählt.
Die Autor*innen versuchen in der Entstehungsphase der »deutschen Nation» die Geburt einer »nationalen bzw. deutschen Arbeit« als historische Partikularität zu belegen. Die deutsche Reformation brachte die protestantische Arbeitsethik hervor, dass nur derjenige sich nähren dürfe, der im Schweiße seines Angesichts dem lieben Herrgott arbeitend dient – im Unterschied zum Calvinismus und Puritanismus. Nachdrücklich wird daran erinnert, warum Schüler*innen in diesem Lande fast zwei Jahrhunderte lang Schillers »Glocke« auswendig lernen mussten. Der Mythos der »deutschen Arbeit« mit den Wunschmerkmalen Fleiß, Disziplin und Pünktlichkeit bekam in der deutschen Romantik eine Erlösungs- und Befreiungsmetaphorik. Schatz & Woeldike zeichnen nach, dass dieses Bild des tüchtigen Michel immer begleitet wurde von Ausgrenzungsprozessen und Hasstiraden gegen die »Nicht-Arbeiter«.
Luther polemisierte gegen die Juden als vermeintliche Wucherer, der ›Romantiker‹ Fichte wurde bemerkenswert ausfallend und die Bemerkungen von Wagner und Nietzsche sind bekannt. Das Bild des Wucherers wird seit der Gründerzeit vom ›bösen jüdischen Finanzkapital‹ abgelöst, das scheinbar einer Erlösung des produktiven ›Volkes‹ (Arbeiter und Industriekapital) entgegenstehe. Die Spitze des ideologischen Aussatzes erreichen die Nationalsozialisten mit ihrer ›Versöhnung‹ des produktiven ›Volkes‹ in einer korporativen Volksgemeinschaft mit gleichzeitigem Vernichtungswahn gegen die vorgeblichen ›Schmarotzer‹. Der »rheinische Kapitalismus« zeichnet sich bis heute durch Sozialpartnerschaft und Bündnis für Arbeit aus. Ein Muster, das sich schnell mit Ressentiments aufladen lässt, wie sich immer wieder zeigt.
Autor*innen
Holger Schatz, geb. 1967, lebt in Freiburg. Studium der Soziologie und Geschichte. Dissertation »Arbeit als Herrschaft«. Diverse Seminare an der Universität Freiburg und der Evangelischen Hochschule Freiburg zu Fragestellungen der Arbeitssoziologie und der Theorien sozialer Ungleichheit (2003 bis 2013). Mitarbeit bei Radio Dreyeckland, heillose Verstrickung zwischen Kapitalismus-Ekel, parasitär angeeignetem Zeitwohlstand, Leistungssport und Produktivismuskritik.
Andrea Woeldike, Jahrgang 1963, Diplom Pädagogin. Diverse Veröffentlichungen zu den Themen Integration von Behinderten und Nicht-Behinderten, Rassismus und Antisemitismus. Organisation und Durchführung von Ausstellungen und Veranstaltungsreihen (»Antisemitismus – die deutsche Normalität«). Lebt in Hamburg.